Montag: Das Leben ist schön

„Ach, deshalb rutscht der Sattel ständig.“ Steffi streicht mit der Hand noch einmal über den Rücken ihrer gemieteten Haflingerstute Nixe. Links ihrer Wirbelsäule sind die Muskeln stark und gut trainiert. Aber rechts klafft fast ein Loch, so unterentwickelt sind die Muskeln dort.

Brigitte gibt uns heute Morgen eine kleine Übungsstunde in Pferdemassage. Sie hat über ihren Berufsverband der Physiotherapeuten eine Zusatzausbildung zur Pferdephysio gemacht. Pferdephysio… Brigitte verwendet diesen Begriff nicht gerne, denn das ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Jeder darf sich Pferdephysiotherapeut nennen, völlig gleich, ob die Ausbildung aus einer fundierten mehrmonatigen Lehrgang mit Theorieunterricht bei Tierärzten, Vollzeitpraktika und einer strengen Abschlussprüfung bestand oder aus einer einstündigen „So werde ich Pferdephysiotherapeut“-DVD. Also sage ich lieber – sie ist Physiotherapeutin für Menschen und Pferde.

Wir haben uns die beiden Haflinger Jack und Nixe als Anschauungsobjekte von der Koppel geholt. Ja, die beiden waren tatsächlich noch da. Und nicht nur das. Die beiden haben sich so gut mit Rosi verstanden, dass sie ganz unruhig wurde, als sie nicht mit durfte.

Jack hat sich wirklich gemacht. Zuletzt hatte ich ihn vor acht Monaten so richtig ausführlich abgetastet. Da war er noch eine richtige Wurst mit viel Fett. Durch Brigittes tägliches Training ist aus ihm ein richtiges Muskelpaket geworden. Wenn man dagegen Nixes Zustand im Vergleich sieht, kommt einem eher das Wort „entwicklungsbedürftig“ in den Sinn. Komisch, denn eigentlich geht sie doch täglich im Schulunterricht?

Und vor allem, wie kommt es zu diesem ungewöhnlichen Ungleichgewicht zwischen linker und rechter Seite? Wird sie denn nie Korrektur geritten? Wird sie nur in eine Richtung longiert? Klar, diese Fragen sind eigentlich Unsinn. Aber sie drängen sich schon auf. Jedenfalls ist Nixe zuckersüß und entspannt sich sichtlich, als sie erst einmal verstanden hat, dass jetzt erst einmal Wellness-Programm angesagt ist.

Gegen Mittag machen wir uns endlich auf den Weg. Das ganze Leben scheint sich auszudehnen. Eigentlich sind wir vier gewohnt unser Leben auf der Überholspur zu leben. Es gibt Tage, an denen reisen wir tausende von Kilometern, aber es kommt uns so vor, als würden wir nur von einem Zimmer in das Nachbarzimmer gehen.

Stattdessen sitzen Andreas und ich auf dem Kutschbock. Rosi zieht unseren Wohnwagen unbeirrbar in ihrem langsamen Schritt Meter um Meter vorwärts, ohne Hast, ohne Eile. Die Langsamkeit wird erfahrbar. Wir werden entschleunigt. Ein wunderbares Gefühl, keine Termine Drängen, keine Besprechungen warten. Alles was zählt ist die Straße vor uns, die in der Ferne in einer Kurve verschwindet. Und dazu geben Rosis schwere Hufschläge den Takt vor.

Die Pferde diktieren unser Tempo. Nach zehn Kilometern ist es Zeit für eine lange Pause. Die Haflinger dösen bald im Schatten der Bäume am Wegrand und lassen sich selbst durch vorbeifahrende Trecker oder Linienbusse nicht aus der Ruhe bringen. Und auch Rosi fallen bald die Augen zu.

Die Sonne scheint, eine laue Briese hält die Fliegen fern. Das Leben ist einfach gut genau so wie es jetzt ist.

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